US-Panorama: Küss mich, ich bin ein High Performer
Von der neuen Durchlässigkeit der sozialen Ordnung, die bereits in den Fünfzigern spürbar war, berichtet der Roman trotzdem auf geradezu penetrante Weise, indem er die oberen Schichten als grundsätzlich eheunfähig beschreibt und gleichzeitig die vielen Scheidungen und Wieder-Verheiratungen referiert. Auf dieser Ebene ist "Alles, was ist" vor allem ein Klatschroman, dessen Held unbeteiligt von Liebelei zu Liebelei marschiert.
Faltenfreie Botox-Sätze
Sein kulturelles Kapital hat er dabei stets im Gepäck, denn immerhin ist er Lektor: in einem New Yorker Verlag für schöne Literatur. Die mal melancholische, mal ironische Schilderung der glamourösen Veranstaltung, die der Literaturbetrieb einmal war, gipfelt in manch schöner Stelle, etwa wenn von den abschlägigen Gutachten des Literaturagenten die Rede ist ("Im narrativen Sinne nicht kraftvoll genug... Mit einer genaueren Charakterdefinierung könnte es vielleicht einen Verleger finden...").
Die viel, und wie man exemplarisch bei Salter sieht, bisweilen zu Unrecht gepriesene Einfachheit, die berühmte Lakonie der Amerikaner klingt oft so: "Er sah ihr nach, sie war jünger und irgendwie besser als andere in der Menge". Das klingt unbeholfen, und es liegt nicht an der Übersetzung.
Die Dialoge der Bildungselite - von ihr handelt der Roman im wesentlichen - sind bei Salter Small Talks der Komplett-Sedierten. Die Menschen in diesem Buch sprechen Botox-Sätze. Irgendein faltenstraffendes Prinzip waltet in ihnen, es ist alles so glatt und oberflächlich.
Verpasst man irgendwas? Wo versteckt sich die Magie? Ist das etwa ein Trick, alles banal aussehen zu lassen? Weil das Leben banal ist? Das könnte sogar in die richtige Richtung führen und weg von der ja tatsächlich oft schwergängigen Prosa der deutschsprachigen Autoren, die vor Bedeutungsfülle schier platzen. James Salters "Alles, was ist" ist auf andere Weise prätentiös. Es versucht, durch Auslassungen und Lücken eine Projektionsfläche herzustellen. Wenn dieses Verfahren gelingt, offenbart sich dem Leser vor allem in Kurzgeschichten oft eine Klarheit der Wahrnehmung, die sich gerade in der Allgemeingültigkeit des Erzählten äußert.
Mit der 20-jährigen Tochter der Ex ins Bett
Klappt es nicht, bleibt nicht vielmehr als ein pseudo-vieldeutiges Tändeln im leeren Raum der Literatur. Der Bestsellerautor John Irving spricht im Hinblick auf Salter von dessen "rauschhafter Sprache, die Shakespeare ein reines Vergnügen gewesen wäre". Es muss eine Verwechslung vorliegen.
Vielleicht ist das Problem von "Alles, was ist" neben der Sprache die innere Aushöhlung der Hauptfigur. Bowman hat etwas von sich im Krieg gelassen. Er ist ein Verlorener. Dem Leser muss er so fremd bleiben, weil er sich selbst fremd bleibt: Das soll so sein, ist zumindest bei Salter als ästhetisches Manöver auf 350 Seiten aber furchtbar ermüdend. Geradezu ärgerlich ist Salters Sorglosigkeit mit Perspektivwechseln. Er macht das bewusst, aber es wirkt erzähltechnisch grobschlächtig.
Eigentlich ist Philip Bowman ein Mann ohne Eigenschaften, dabei aber keine so grundlegend leere Figur wie Albert Camus' Meursault. Was seinen Charakter annäherungsweise bestimmt, ist die erotische Unbeständigkeit. Er betrügt, er wird betrogen, er sucht weiter. Salters Sympathie gilt bestimmt nicht den Frauen, sie werden im Laufe der Handlung Säuferinnen oder fette Wachteln. Die Sympathie gilt seinem Helden, den er als 50-Jährigen mit der 20-jährigen Tochter der Ex ins Bett gehen lässt.
Weil Bowman sexuell ein High Performer ist, nimmt er das junge Dinge ganz schön ran: "Es ging sehr lange. Sie war erschöpft. 'Ich kann nicht mehr', bat sie ihn."
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/james-salter-alles-was-ist-a-929377.html
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